Trauer um Artikel 5

Auch wenn ich sonst absolut nicht dazu neige, hier politisch zu werden, muss ich doch eine Sache erwähnen, die (nicht nur mich) aktuell sehr beschäftigt: es ist es gestern wie befürchtet dazu gekommen, dass ein Gesetz mehrheitlich beschlossen wurde (389 Ja-Stimmen, 128 Nein-Stimmen und 18 Enthaltungen), das so niemandem nutzt und das eigentliche Problem, das es vorgibt zu bekämpfen, kaum behindert.

Dass ich mich an der Online-Petition gegen die Gesetzesänderung beteiligt habe, um die 50.000 nötigen Stimmen zu erreichen, dass daraus letztendlich über 130.000 Stimmen von Menschen aus diesem Land geworden sind (damit die „erfolgreichste“ ePetition bisher überhaupt), scheint niemanden (außer den 128 Nein-Stimmern) in „entscheidender Position“ zu interessieren. Ebensowenig wie die Tatsache, dass die Sperren ungeeignet sind (wie mehrfach gezeigt wurde) und das Internet auch vorher kein „rechtsfreier Raum“ war – eine Vokabel die gern von den Befürwortern in diesem Zusammenhang in den Mund genommen wird.

Ich bin jedenfalls in meiner langjährigen und sehr intensiven Netznutzung noch nie „aus versehen auf irgendwelche KiPo-Seiten geleitet“ worden und habe plötzlich gedacht: „Ach, das ist aber schön!“. Daher sehe ich keinen Grund, warum sich das ändern sollte, auch ohne entsprechende Gesetzesänderung.

Die Trauer-Anzeige drückt sehr gut aus, was viele darüber denken:

Trauer um Artikel 5 - prägnant zusammengefasst
Trauer um Artikel 5 – prägnant zusammengefasst

Hier noch mal als Text-Version (for the visually impaired zum Beispiel):

Wir trauern um
Artikel 5
des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland
Eine Zensur findet nicht statt.

Am Donnerstag, 18. Juni 2009, verschied nach langem, tapferem Kampf das grundgesetzliche Verbot einer Zensur in Deutschland ? unter fadenscheinigen Vorwänden gehetzt und zur Strecke gebracht von paranoiden Gegnern der Informations- und Meinungsfreiheit, mit massiver Unterstützung einer großen Koalition aus beratungsresistenten Internetausdruckern,  willfährigen Lobbyistenfreunden und gewissenlosen Fraktionslemmingen.

Mit ihm starb der letzte Rest von Vertrauen einer ganzen Generation in die Glaubwürdigkeit und Vernunft der Politik der Volksparteien und ihrer derzeitigen Vertreter und Eliten ? zum weiteren Schaden der parlamentarischen Demokratie, die an Legitimationsverlusten leidet, wenn die Partizipation des Bürgers offensichtlich unerwünscht ist.

Wir sind traurig, zornig und ratlos, aber auch dankbar ? all jenen, die in  Parteien, Vereinen und Arbeitskreisen oder auch als Mitzeichner der Petition gegen Internetsperren in den zurückliegenden Monaten mit Engagement und Kreativität versucht haben, diese fatale Fehlentscheidung zu verhindern.

Alle Freunde von Demokratie und Freiheitsrechten  in der Bundesrepublik Deutschland

Statt um Blumen und Kränze bitten wir um eine hohe Wahlbeteiligung bei der kommenden  Bundestagswahl zugunsten der Parteien und Kandidaten, die sich allen gegenläufigen Strömungen  zum Trotz noch immer der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichtet fühlen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Nachtrag: unter der Internetadresse mit dem schönen beschreibenden Namen

www.hatmeinabgeordneterfuernetzsperrengestimmt.de

kann jeder einsehen, wie welcher Abgeordnete zum Thema abgestimmt hat. Die Statistik ist eventuell für den ein oder anderen auch ganz aufschlussreich.

Wer sich die Debatte mit Abstimmung noch einmal geben möchte, die eine erschreckende Inkompetenz und Ignoranz gegenüber den Gegebenheiten der „neuen“ digitalen Welt auf Seiten der großen Koalition zeigt, der wird hier fündig.

mehr Infos unter AK Zensur (via: Reizzentrum)

5 thoughts on “Trauer um Artikel 5”

  1. Die Reaktion von Herrn Jörg Tauss finde ich sehr respektabel. Auch wenn man früher über die PiratenPartei geschmunzelt hat, man sollte sie sehr ernst nehmen. Sie vertritt die Interessen der digitalen Gesellschaft.

    Ich hoffe, die PiratenPartei schafft es zur Bundestagswahl zugelassen zu werden. Wer das ebenfalls unterstützt, kann ein Formular ausfüllen und abschicken. Wenn Petitionen und Protest nicht mehr helfen, dann muss eben eine politische Kraft her, die es richten kann.

  2. Hallo Gabriel & Co., mag sein, daß ein großer Mann oder große Frau nicht auf KiPo und Schmuddelkram unterwegs ist, viele, sehr viele Minderjährige und junge Leute, verlieren Ihr gesammtes Erspahrtes an die Sex-Mafia. Andere verlieren Ihr Herz an die "Mädchen-u.Jungs-Schlepper". Es gibt sie die Sex-Mafia. Auch in Berlin.

    Ich bin mit U. v. d. Leyen im Gespräch, um meinen Vorschlag: eine "httpsadult", in´s Leben zu verhelfen. Was tust Du?

  3. […] möchte hiermit auf einen Artikel bei Dobersch verweisen, der gut zusammenfasst was ich zu diesem Thema denke. Ich bin ebenso einer der 134.014 […]

  4. > Sie vertritt die Interessen der digitalen Gesellschaft

    Das sehe ich anders: sie vertritt die Interessen eines Teils der digitalen Gesellschaft. Ganz sicher nicht überwiegend die der Internet-Unternehmer.

    Im übrigen kann ich die Gedanken zur Piratenpartei von Christoph ganz gut nachvollziehen. Besonders in Bezug auf Parteiname, Sprache der Wortführer und Offenheit für nicht-Piraten-konforme Argumente.

  5. Auch wenn ich gegen das Gesetz bin, finde ich die Unkenntnis und die Halbherzigkeit mit der dieses Gesetz gestrickt wurde nicht überraschend. Quasi wöchentlich werden Gesetze von dieser Art und Weise verabschiedet. Viel überraschender finde ich, und das im positivem Sinn, dass die digitale Gesellschaft es geschafft hat zu reagieren, Protest zu organisieren und einen guten Teil zur Aufklärung beigetragen hat. Ja sogar im Begriff ist, sich strukturell so aufzustellen zukünftig im Politikbereich mitzumischen. Ich hoffe, dass diese Dynamik nicht wieder verschwindet. Denn es wäre schade wenn, man über Twitter zwar zeitnah jede Emotion, jeden Krieg, jede Katastrophe, jeden Skandal mitbekommen kann, aber daraus nichts folgt.

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