Sind Pilze immer noch verstrahlt?

Steinpilz
Steinpilz aus der Uckermark

Pilze habe ich schon seit meiner Kindheit gern gesammelt, als meine Eltern im Urlaub oft mit mir „in die Pilze“ gegangen sind. Auf dem Speiseplan standen damals: Maronen, Pfifferlinge, Steinpilze, Grünlinge, Rotkappen, Birkenpilze und ganz selten auch mal eine Krause Glucke.

Durch Tschernobyl hatte sich das dann schlagartig geändert, da die klare Empfehlung in den Jahren nach der 1986er Katastrophe von allen Seiten war: keine Waldpilze essen, da diese stärker als andere Lebensmittel radioaktiven Substanzen speichern. Hauptproblem ist hierbei das Cäsium-137, das sich mit einer Halbwertzeit von 30 Jahren nicht so schnell abbaut, wie z.B. das Jod-131, das aufgrund seiner kürzeren Halbwertzeit von nur 8 Tagen schon im gleichen Jahr fast vollständig verschwunden war. Vom durch die radioaktive Wolke auch in Deutschland abgeregneten Cäsium ist also heute noch mehr als die Hälfte der ursprünglichen radioaktiven Verseuchung vorhanden.

Im Waldboden versteckte Pfifferlinge

Da nicht jede Gegend in Deutschland gleich stark betroffen ist (Süddeutschland war damals wesentlich stärker von radioaktiven Niederschlägen heimgesucht) können hier die regionalen Gegebenheiten einen deutlichen Unterschied für die Belastung machen. Mehr Informationen dazu gibt z.B. die vom Umweltinstitut München herausgegebene lesesenswerte Broschüre „Pilze und Wild – Tschernobyl noch nicht gegessen“ (PDF)

Wald-Pilze immer noch verstrahlt?

Wie sieht die Situation aber nun mehr als 25 Jahre nach dem Reaktor-Unglück aus? Kann man wieder bedenkenlos Waldpilze sammeln und essen oder sind die Pilze auch heute noch verstrahlt?

Um das halbwegs fundiert beurteilen zu können, hilft die Betrachtung von jährlichen Messungen der Radioaktivität, die in Pilzen nachgewiesen werden kann. Das Umweltinstitut München bietet zu diesem Zweck von August bis Oktober kostenlose Messungen von Waldpilzen, Blaubeeren und Wild an.

Das hat mich begeistert und ich habe voriges Jahr einfach mal eine Portion Pilze (es müssen mindestens 250g Frischmasse für eine Messung eingeschickt werden) zum Umweltinstitut geschickt und war sehr gespannt auf das Ergebnis. Dieses kann einige Wochen nach der Zusendung telefonisch abgefragt werden und erscheint auch in der jährlichen Übersicht, die vom Institut herausgegeben wird.

Meine eingeschickte Pilzprobe aus Templin (Brandenburg)

Ergebnis der Messung meiner eingesandten Pilze (Maronenröhrlinge): 63 Bq/kg (künstliche Radioaktivität 137Cs)

Maronenröhrling oder Marone

Dieser Wert taucht nun auch in der Messliste für 2010 (PDF) auf. Hier finden sich die Übersichten der letzten Jahre: Messlisten der Waldprodukte. Es ist gut zu erkennen, dass die Belastung in unserer Gegend (Templin / Brandenburg) deutlich geringer ausfällt als in Süddeutschland. Die Werte unterscheiden sich drastisch und liegen für viele süddeutschen Proben bei mehreren 100 Bq/kg einige sogar im vierstelligen Bereich. Der von der EU festgelegte Höchstwert für den Import in Mitgliedsländer liegt bei 600 Bq/kg. Meine Pilze erreichten also immerhin mehr als ein Zehntel des für den Import in EU-Mitgliedsstaaten zulässigen Höchstwertes.

Was bedeutet das nun? Pilze sammeln wieder „erlaubt“?

Die Beurteilung, ob der Verzehr von Waldpilzen für den Körper ein großes Risiko darstellt, ist nicht einfach nur an dem Wert festzumachen. Hier ein Ausschnitt einer Pressemitteilung (PDF) des Landesamt für Umwelt M-V dazu aus dem Jahr 2010:

Entscheidend für die radiologische Beurteilung ist aber die insgesamt mit den Pilzen aufgenommene Aktivität in Bq und letztlich die daraus resultierende Strahlenexposition in mSv. Beim angenommenen Verzehr von 10 kg Pilzen mit den genannten maximalen 230 Bq/kg FM ergibt sich so für einen Erwachsenen eine Strahlenexposition von ca. 0,03 mSv. Dieser Wert ist vernachlässigbar klein verglichen mit dem Grenzwert aus der Strahlenschutzverordnung von 1 mSv je Jahr bzw. im Vergleich mit der natürlichen Strahlenxposition in Deutschland von 2,4 mSv je Jahr.

Das hört sich zwar erst mal sehr entwarnend an (zumal der hier zur Berechnung herangezogene Wert von 230 Bq/kg mehr als 3 mal so hoch ist, wie bei meiner untersuchten Probe) – jedoch muss man auch dazu sagen, dass staatlich oder von der EU festgesetzte Grenzwerte oft nicht dem entsprechen, was man sich oder seinen Kindern zumuten würde. Das dazu passende Statement aus der oben bereits erwähnten Broschüre:

Das Umweltinstitut München e.V. und andere unabhängige Experten raten zu strengeren Grenzwerten: 30 bis 50 Bq/kg bei Nahrung für Erwachsene und 10 bis 20 Bq/kg für Kinder, stillende und schwangere Frauen, bei Babynahrung bis 5 Bq/kg Cäsium-Aktivität. Während des Wachstums teilen sich die Zellen häufiger, für die Reparatur einer geschädigten Zelle bleibt oft nicht genügend Zeit.

Daher halte ich mal folgendes fest:

Die heute in deutschen Waldpilzen gefundene radioaktive Belastung ist regional sehr unterschiedlich. Es empfiehlt sich daher Vergleichswerte heranzuziehen oder selbst eine Probe aus der eigenen Region einzusenden. Die Grenzwerte von Staat und EU sind mit Vorsicht zu genießen. Pilze mit ungewisser Herkunft sind auf jeden Fall zu meiden. Wer trotzdem Pilze sammeln und essen möchte, kann allein durch die Auswahl der Art das Risiko verringern: Maronen nehmen Cäsium in größeren Mengen auf als Pfifferlinge und Steinpilze, die ihrerseits wiederum mehr als Schirmlinge oder Champignons aufnehmen.

Trotzdem gilt das Minimierungsgebot: da keine Grenze existiert, unter der Radioaktivität noch ungefährlich ist, sollte so wenig wie möglich Radioaktivität aufgenommen werden.

Pfifferling im Waldboden

4 thoughts on “Sind Pilze immer noch verstrahlt?”

  1. > Dieser Wert ist vernachlässigbar klein verglichen mit dem
    > Grenzwert aus der Strahlenschutzverordnung von 1 mSv je
    > Jahr bzw. im Vergleich mit der natürlichen
    > Strahlenxposition in Deutschland von 2,4 mSv je Jahr.

    Hier werden mal wieder Äpfel mit Birnen verglichen. Die 2,4 mSv pro Jahr sind die natürliche Hintergrundstahlung auf der Erde. Sie wirkt von außen auf uns ein. Dafür ist unser Körper gerüstet. Die Evolution hat dafür gesorgt, dass wir gut mit dieser „Belastung“ umgehen können. Einigen Studien zufolge sogar besser als ganz ohne Strahlung.

    Bei Pilzen werden aber strahlende Partikel (konkret CS-137) IN DEN KÖRPER aufgenommen, gespeichert und strahlen direkt an den inneren Organen.

    Das ist nicht vergleichbar.

    Darüber hinaus ist die natürliche Hintergrundstrahlung GAMMASTRAHLUNG, die durch Elemente aus der Enstehungszeit unserer Erde herrühren.

    C-137 ist ein BETASTRAHLER.

    Das zu vergleichen ist in etwa so sinnvoll wie der Vergleich zwischen Wasser und Wodka.

    Für C-137 kann es keinen sinnvollen Grenzwert geben. Dieser Stoff gehört nicht in den menschlichen Körper. Egal, in welcher Dosierung.

    Grenzwerte werden willkürlich festgelegt, um die Verkehrsfähigkeit bestimmte Waren zu regeln. Über die medizinischen Folgen des Verzehrs treffen sie keine Aussage.

    Ich würde nicht wegen ein paar „leckerer“ Pilze irgendwann einen qualvollen Krebstod sterben wollen. Das gilt für heute und die nächsten paar hundert Jahre. Solange werden die Pilze hierzulande noch belastet sein.

  2. @Sebastian: genau, deswegen habe ich ja auch geschrieben: „jedoch muss man auch dazu sagen, dass staatlich oder von der EU festgesetzte Grenzwerte oft nicht dem entsprechen, was man sich oder seinen Kindern zumuten würde.“

    Und der letzte Satz sagt ja auch genau das: je weniger, desto besser.

    Danke dafür, dass Du nochmal den Unterschied zwischen der natürlichen Hintergrundstrahlung („Normalbelastung“) und der Aufnahme von Substanzen in den Körper herausgestellt hast, die ganz andere Folgen haben kann. Das wollte ich ursprünglich auch noch erwähnen.

  3. > je weniger, desto besser

    Ja, und ich meine: Null ist die beste Lösung. Das ist natürlich auch „weniger“ 😉

    Ist halt wie mit Zigaretten. Aber einem gewissen Schadstoffgehalt sind sie verkehrsfähig. Sterben tut man trotzdem dran. Auch wenn es nur 3 pro Tag sind, statt der üblichen 30.

  4. Guter, informierender Artikel/Beitrag. Danke!

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